Thesen zur Räumung der Kadterschmiede 2016

Gester war die R94 bei den Eviction Talks in der L34-Bar um über die Räumung 2016 und den Umgang damit zu berichten.

Unsere lieben Nachbar*innen aus der Rigaer94 wurden vor genau drei Jahren ihres Gemeinschaftsraums „Kadterschmiede“ im Erdgeschoss des Hinterhauses der Rigaer94 beraubt. Ohne Räumungstitel oder Vorwarnung drang die Polzei in das Erdgeschoss ein. Es war die Eskalation der polizeilichen Maßnahmen im Rahmen des sog. Gefahrengebiets, das die gesamte Nachbarschaft seit Oktober 2015 in Atem hielt.
Die Berliner Polizei schützten am 22. Juni 2016 angeblich nur Bauarbeiten in den Räumlichkeiten, entfernten sämtlich Möbel, aber auch alle Fahrräder vom Hof und alles was sich in dem Haus auf dem Dachboden angesammelt hatte. Der Hauseingang und Hausflur wurde insgesamt 3 Wochen von Polizei und Secus belagert. Niemand durfte Besuch empfangen. Die Bewohner*innen durften nur mit Zivis im Schlepptau das Haus verlassen.
Auf die Räumung folgte viel Solidarität aus der Nachbarschaft. Kiezversammlungen wurden schnell organisiert. Jeden Abend gab es „Geschepper“ in den anliegenden Straße – Bewohner*innen traten ans Fenster und klopften auf Töpfe und Pfannen. Eine bundesweite Demo mit 2000 Teilnehmer*innen sowie nächtliche Aktionen am 7. Juli setzten ein militantes Signal.
Parallel verteidigte sich das Haus juristisch gegen die Räumung in einem Eilverfahren das sie gewannen. Der Raum musste wieder an das Haus übergeben werden. Die Kadterschmiede ist nach dem Kampf ein noch wichtigerer Ort geworden.
Letzte Woche gab es das mittlerweile 4. Räumungsverfahren gegen die Kadterschmiede, das aber aus formalen Gründen abgewiesen wurde. Hintergrund ist, dass der eigentliche Besitzer gern anonym bleiben will.

Ein paar Thesen aus der Diskussion:

These: „Die Solidarisierung mit der Rigaer94 wäre ohne die vorangegangene Kiezvernetzung gegen das Gefahrengebiet (davon waren alle in der Nachbarschaft betroffen) und ohne das 2014 etablierte „Straßenplenum“ (wegen 25. Jahrestag der Besetzungen im Nordkiez) nicht so schnell und breit erfolgt. Dazu waren bestimmte Vernetzungs-Formate (z.B. Kaffee&Kuchen in der R78) wichtig. Das Scheppern hat für eine große Sichtbarkeit von Kritik am polizeilichem Handeln gesorgt. und letztlich den Handlungsdruck der Politik und Justiz die Belagerung zu beenden massiv erhöht. Die Nachbarschaftsvernetzung folgt aber (leider) den Konjunkturen der Angriffe durch Staat und Kapital und den eigenen Betroffenheiten.“

These: „Solidarität hat immer mehrere und meist auch eigene Gründe. Wer sich warum z.B. am Scheppern im Sommer 2016 beteiligt hat, bleibt ungewiss. Fakt ist, dass viele ihren eigenen Erfahrungen zum Gefahrengebiet Luft machen wollten. Dafür waren die Kiezversammlungen super. Die Vernetzung hatte aber enge Grenzen – auf vieles konnte sich nicht geeinigt werden, weil die politische Basis fehlte. Absatzbewegungen, Dissenz und Spaltungen waren und sind immer präsent und werden von einigen auch bewußt befördert. Die Gegenstrategie kann nur gegenseitiges Verständnis und ein Aufeinanderzugehen sein. Warum ist der Kampf der Projekte gegen die eigenen Verdrängung auch ein Kampf gegen die Verdrängung aller Mieter*innen im Kiez? Warum agieren die Projekte so, wie sie es tun? Warum wollen Menschen so leben?“

These: „Die Bedingungen für gemeinsame Kämpfe werden schlechter. Denn die Zusammensetzung im Kiez ändert sich – die Nutznießer*innen der Gentrifizierung haben wenig Interesse sich mit den Altmieter*innen zu solidarisieren. Die Interessen fallen auseinander. Gleichzeit werden diese Widersprüche zu selten ausgesprochen. Es braucht eine gewisse Awareness für Einkommensunterschiede und Deklassierungserfahrungen im Kiez. Hier wäre ein bisschen mehr Konfrontation angebracht.“

These: „Die Rigaer94 hat bundesweit einen gewissen Ruf. Entsprechend konnte viel schneller zu der Demo und anderen Soliaktionen mobilisiert werden. Der jahrelang von vielen Bewohner*innen-Generationen aufgebaute Ruf ist auch eine Selbstverpflichtung, die die aktuelle Bewohner*inneschaft motiviert entsprechend nach außen zu treten, Angriffe lieber zu beantworten, statt sich erstmal zu konsolidieren. Aber: Viele Ansprüche – z.B. der kritische Umgang mit der Presse – wurden in der Zeit der Belagerung und des Psycho-Terrors relativiert. Es wurde viel mehr und auch viel unvorbereiteter mit der Presse geredet. Einige Soliaktionen waren auch nicht so durchdacht – was aber auch der Dynamik geschuldet ist.“

These: Nachbarschaft, wie auch Bewohner*innen der Rigaer94 hatten im Sommer 2016 keine Zeit auf die eigene psychische Konstitution zu achten. Das Gefahrengebiet und die Belagerung der Rigaer94 haben Wunden hinterlassen, die nicht kollektiv bearbeitet wurden. Dafür fehlen uns die Formate, die nicht auf Angriff, sondern auf Care ausgerichtet sind. Nach der Eskalation folgt für viele der Wiederaufbau und das Weitermachen – für manche die Isolation und das Aufhören. Es fehlt an Trauma-Bearbeitung, Kultivierung von Bedürfnisorientiertem Aktivismus und konstruktive Selbstbefragung.